Maria Große, Pons Latinus – Latein als Brücke zum Deutschen als Zweitsprache. Modellierung und empirische Erprobung eines sprachsensiblen Lateinunterrichts,
Verlag Peter Lang, 442 Seiten, 2017, 
ISBN-13: 9783631733660, 64,95 €

Cover M.Groe Pons Latinus

Es waren einmal drei Lateinlehrer/innen (vielleicht waren es auch ein, zwei mehr). 

Jens Kühne, Barbara Stalinski und Carola Fengler jedenfalls liebten ihr Unterrichtsfach Latein, liebten ihre Schülerinnen und Schüler und machten durch jahrelange engagierte Unterrichtsarbeit ihr Gymnasium zu einer Berliner Vorzeigeschule, ganz sicher zu der Berliner Schule, über die in der deutschsprachigen Presse die meisten Reportagen mit beträchtlichem Erstaunensfaktor und lobendem Unterton für den offensichtlichen Bildungsertrag des Fachs Latein geschrieben wurden. 

Das war nicht leicht zu erreichen, denn ihre Schule liegt fernab von bildungsbürgerlichen Elternhäusern und der Anteil der Schülerklientel nichtdeutscher Herkunft stieg von Jahr zu Jahr auf derzeit fast 100 Prozent. Die Lateinlehrkräfte dieser Neuköllner Schule hatten die Argumentationslinie ihrer Zunft im Ohr, dass man mit Latein leichter Fremdsprachen, die deutsche Grammatik und die eigene Muttersprache lernen könne. Wenn das für Kinder mit einem ausgeprägten elterlichen Bildungsinteresse gelten soll, warum nicht auch für Kinder und Jugendliche mit Migrationshintergrund – und schon war ein ehrgeizig und kompetent verfolgtes Projekt geboren. Das ist nun schon einige Jahrzehnte her und die Unterrichtsarbeit und Fachverantwortung ist längst auf Jüngere übergegangen. Das Fach Latein wird in erstaunlich großer Zahl gewählt und stellt gewissermaßen das anerkannte Markenzeichen dieses Gymnasiums dar.

Was liegt näher, als den Erfolg dieses Unterrichts zu evaluieren. „Guter Unterricht beginnt beim Betrachten der Wirklichkeit” möchte man in Anlehnung an den Leitspruch der ehemaligen Neuköllner Bürgermeisterin Franziska Giffey »Gute Politik beginnt beim Betrachten der Wirklichkeit« konstatieren. Das wird mindestens seit dem Jahr 2000 an der HUB am Institut für Klassische Philologie/Didaktik der Alten Sprachen von Stefan Kipf im Projekt Pons Latinus durch Untersuchungen im Rahmen von Masterarbeiten und Dissertationen intensiv befördert. 

Pons Latinus ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt zur Modellierung und Evaluation eines sprachsensiblen Lateinunterrichts zur Unterstützung von Lernenden nichtdeutscher Herkunftssprache. Das Lateinische fungiert dabei - so die These - als Brücke zwischen Erst- und Zweitsprache und unterstützt durch die Initiierung verschiedener Sprachhandlungen den Zweitspracherwerb. 

Die Autorin der hier vorzustellenden Dissertation hat im Rahmen einer zweijährigen Studie an einem Berliner Gymnasium neben ausgeklügelten  Interventionen in Form sprachbildender Arbeitsmaterialien umfangreiche Evaluationen durchgeführt. Maria Große vergleicht in Ihrer Studie die Leistungsentwicklung von Lernenden im Deutschen und Lateinischen und stellt signifikante Unterschiede fest, welche die Verwendung des Lateinischen als „Sprachbrücke” befürworten.

Bei der ersten Durchsicht des fast 450 Seiten starken Buches beeindruckt die Klarheit der Sprache selbst in komplexen Zusammenhängen, die logisch-stringente Vorgehensweise, die plausible und detaillierte Gliederung und die äußerst sorgfältige Darstellung der Voraussetzungen, der Methoden der Intervention wie der Darstellung und Auswertung der Ergebnisse. Ausgangspunkt ist die weit verbreitete Beobachtung, dass die Zahl an Kindern und Jugendlichen mit verminderten Deutschkenntnissen an allen Formen der Berliner Schule und auch im LU stetig zunahm und immer noch zunimmt, und die Suche nach methodisch-didaktischen Ansätzen zur Gestaltung eines Lateinunterrichts, der diesen neuen Voraussetzungen mit geeigneten Formen der Sprachbildung begegnet.

„Mangels empirisch abgesicherter Verfahren und Erkenntnisse zu den Möglichkeiten und Grenzen des Lateinunterrichts hinsichtlich der fachinte-grierten Sprachbildung war es nötig, interdisziplinär vorzugehen und sich an anderen Forschungsdisziplinen ähnlicher Beobachtungsschwerpunkte zu orientieren: vorab und zentral an der Latein- und der DaZ-Didaktik, die unerwartet viele Übereinstimmungen aufweisen, zudem an der Interkomprehensions-, Mehrsprachigkeits- und Tertiärsprachenforschung, die allesamt das Fremdsprachenlernen möglichst nachhaltig und effizient gestalten wollen” (S. 15). 

Zwei Forschungsfragen ergaben sich für die Autorin, nämlich „ob in einem sprachsensibel ausgerichteten LU allgemein positive Effekte auf die deutschen Sprachkompetenzen der SuS ndH erzielt und nachgewiesen werden können und ob dabei ferner signifikante Leistungsunterschiede zwischen Lernenden ndH mit und ohne LU festzustellen sind” (S. 16). „Da außerdem der LU keinesfalls durch die sprachsensible Ausrichtung an seiner Fachlichkeit, seinen Bildungszielen und zu vermittelnden Kompetenzen einbüßen sollte, war es schließlich von Interesse zu untersuchen, ob signifikante Leistungsunterschiede zwischen Lateinschülern ndH mit und ohne die Intervention hinsichtlich ihrer Kompetenzen im Umgang mit der lateinischen Sprache erfasst werden können” (a.a.O.).

Solche Fragen verlangen zwingend ein sorgfältiges und nachvollziehbares Prozedere bei der Entwicklung des Konzepts eines sprachsensiblen LUs unter Berücksichtigung der DaZ-Didaktik, der allgemeinen Sprachbildung und der obligatorischen Einbindung der Sprachbildung in alle Fächer. Breiten Raum nimmt deshalb der Problemaufriss der „grundlegenden didaktischen und methodischen Prinzipien für die Intervention sowie eine Aufgabentypologie und -analyse der entwickelten Übungsmaterialien” (S. 17f) ein. „Es werden die Lehrmittel kritisch betrachtet, die derzeit im LU eingesetzt werden, und Defizite herausgestellt, die das Lernen des Lateinischen und Deutschen erschweren können” (S. 18). Detailliert – d.h. mit einem Einblick in das empirisch-wissenschaftliche Forschen – vorgestellt werden die wissenschaftlich-methodischen Grundlagen der Forschung, die Messinstrumente und Methoden der Datenauswertung. Da einige Instrumente selbst entwickelt wurden, ist ein Teil der Datenauswertung auch der Überprüfung der Gütekriterien gewidmet.

Den größten Teil der Arbeit nimmt der Abschnitt „Ergebnisdarstellung und -auswertung” ein (S. 253-354), getrennt nach den allgemeinen Effekten des entwickelten sprachsensiblen LUs auf die Kompetenzen in der Zweitsprache Deutsch und der Lernentwicklung im Lateinischen. Im letzten Teil erfolgt die Diskussion der Ergebnisse und Methoden, eine gelungene Rückschau auf das Projekt in Theorie und Praxis sowie ein ergiebiger Ausblick auf die künftige Entwicklung und Forschung im Bereich der fachintegrierten Sprach- bzw. Zweitsprachenbildung im LU.

Die Beschreibung der Rahmenbedingungen und die Ergebnisdarstellung und -auswertung sind eine wahre Fundgrube von Beobachtungen und Erkenntnissen, die in die Aus- und Fortbildung von Lateinlehrkräften Eingang finden müssen, die aber auch bei der Konzeption von Lehrbüchern und der Differenzierung bei Übungsmaterialien zu berücksichtigen sind. Hier einige Befunde:

■ Erfreulich, „dass 71% der befragten Lateinschüler bestätigten, Spaß am Unterricht und den Methoden zu haben, und ferner auch die Themen und die Kultur mit 16% relativ häufig unter den positiven Aspekten des LUs genannt wurden” (S. 318).

■ „Die Interventionsgruppe stimmte mit 92% zu, mit der Wahl des Faches Latein zufrieden zu sein ... Die SuS ohne Latein bekundeten im Vergleich insgesamt mit 62% seltener ihre Zufriedenheit” (S. 318f).

■ „Bei den Lateinlernenden erkannten 85%, dass der LU dazu beitrage, das Deutsche zu lernen, was die Nennungen des Französischunterrichts weit überstieg. Bei diesen waren es nur 38%, die den Französischunterricht als ein Fach aufzählten, in dem sie auch die deutsche Sprache lernen und somit nur halb so viele wie bei den Lateinschülern” (S. 320).

■ Nimmt man mangels spezifischer Literatur  zum LU Empfehlungen für den Deutsch- und den neusprachlichen Fremdsprachenunterricht zusammen, erhält man einen Katalog von methodisch-didaktischen Anforderungen an einen sprachbildenden Fachunterricht, die dem sprachsensiblen LU voll zu entsprechen scheinen. Hierzu zählen die verstärkte Sprach- und Textreflexion, die sprachkontrastierende Arbeit, die explizite Grammatikvermittlung, die Kontextualisierung und durchgängige Herstellung von Anwendungsbezügen sowie die Stärkung der konzeptuellen Schriftlichkeit durch DaZ-didaktisch aufgearbeitete Übungen” (S. 320).

■ „V.a. die Lerngruppe mit Intervention erkannte zu 73% eine positive Wirkung auf ihre Deutschkenntnisse durch den LU, was in Hinblick auf die Akzeptanz des modellierten sprachsensiblen LUs seitens der SuS positiv zu beurteilen ist” (S. 347).

■ „Ausdrücklich genannt wurde von den Schülern der Nutzen von Lateinkenntnissen für die deutsche Grammatik, für Fremdwörter im Bereich der Biologie, für das Vokabellernen om Französischen und Englischen sowie für Fremdwörter im Fach Geschichte. ... Gerade die synergetischen Effekte zwischen dem Lateinischen und den mo-dernen Fremdsprachen sind zwar umstritten, waren aber
 an vielen Stellen in der subjektiven Wahrnehmung der Lateinschüler zu beobachten” (S. 347).

■ „62% der Befragten (beurteilten) die Aufgaben der Intervention als abwechslungsreicher als das Angebot im Lehrbuch ... In diesen Urteilen ist damit ein weiteres Indiz für die o.g. Hypothese zu sehen, dass die Interventionsmaterialien die in den Lehrbüchern angebotenen Inhalte, Übungen und Texte effektiv ergänzen konnten und zu einer höheren Akzeptanz des Lehrwerks führten” (S. 352).

■ „Mit Blick auf die durchweg besseren Ergebnisse hinsichtlich der lateinischen Sprachkompetenz sollte deutlich geworden sein, dass die sprachsensible Ausrichtung keine Einbußen hinsichtlich der Fachlichkeit im Lateinischen nach sich gezogen hat” (S. 354).

Beeindruckend ist der Katalog von Punkten mit einem wissenschaftlichen Entwicklungspotenzial im Kapitel „Rückblick und Perspektiven” (S. 358-372): „Im Kern wird es hierbei darum gehen, die derzeit exklusive Zweitsprachenförderung auf eine allgemeine Sprachbildung zu erweitern” (S. 358). 

Übrigens gibt es schon eine erste Reaktion auf die Beobachtungen von Pons Latinus. Das grundständige Humboldt-Gymnasium in Berlin-Tegel realisiert mit dem Projekt LateinPLUS eine fachintegrierte Sprachbildung des Deutschen: „Sprachsensibler Lateinunterricht führt über eine besonders intensive Beschäftigung mit Sprache und Reflexion von Sprache zusätzlich zur Verbesserung der Lateinkenntnisse und zu einem tieferen Verständnis der Grammatik. Davon profitieren alle Sprachen, aber vor allem das Deutsche. Denn das Erschließen, Übersetzen und Interpretieren lateinischer Texte ins Deutsche trainiert das Sprachempfinden und schult das Sprachbewusstsein” (S. 370). 

Maria Große hat mit ihrer Arbeit „Pons Latinus – Latein als Brücke zum Deutschen als Zweitsprache. Modellierung und empirische Erprobung eines sprachsensiblen Lateinunterrichts” ein bemerkenswertes Projekt mit einem sehr aufwendigen Forschungsdesign und sehr interessanten Ergebnissen realisiert. Sie würdigt damit die Initiativen von Kolleginnen und Kollegen am Neuköllner Ernst-Abbe-Gymnasium, gibt dem Projekt, das mittlerweile an Breite gewonnen hat und das für die Zukunft des Fachs existenziell sein könnte, durch eigene Impulse neuen Schwung und belegt mit statistischen Methoden die guten Erfolge im Lateinunterricht für den Erwerb und die Festigung deutscher Sprachkenntnisse, die eine beeindruckend große Schülerzahl jedes Jahr neu durch die Wahl des Unterrichtsfachs Latein bei 'Ernst-Abbe' bezeugt.

Bedeutsam ist schließlich die Forderung der Autorin an die Mehrsprachigkeits- und Interkomprehensionsforschung, „den LU im Kontext der Mehrsprachigkeitsförderung zu einem gemeinsamen Sprachencurriculum mehr zu bedenken” und den LU „künftig als gleichberechtigtes Pendant zu den übrigen Sprachenfächern” (S. 369) anzusehen, nachdem im Projekt Pons Latinus erste Hinweise auf die Wirksamkeit eines der Sprachreflexion und -sensibilisierung verschriebenen LUs erbracht haben.

Am Ende des Bandes findet der interessierte Leser ein sehr umfangreiches Literaturverzeichnis, die vollständigen Test-Anhänge sowie alle Ergebnisse in Tabellenform.


Apuleius, Amor und Psyche, Bearbeitet und herausgegeben von Rudolf Henneböhl, Band 6 in der Reihe 'Latein kreativ',
Ovid-Verlag, Bad Driburg, 2018, 168 Seiten mit über 100 farbigen Abbildungen, 
ISBN 978-3-938952-19-1, 15,00 € (Lehrerprüfstück: 12 €, Studenten und Referendare: 10 €)

Apuleius Amor und Psyche Titelbild

 „Lector, intende, laetaberis!” – So schreibt Apuleius im Vorwort zu seinem Roman Metamorphosen, in den das Märchen von Amor und Psyche als Binnenerzählung eingebettet ist (4,28-6,24). Nach Apuleius ist Psyche eine wunderschöne Königstochter, die man wegen ihrer Schönheit wie eine Göttin verehrt und dabei den Kult der Venus vernachlässigt. Wütend befiehlt diese darauf ihrem Sohn Amor, Psyche sich in ein hässliches Geschöpf verlieben zu lassen, Amor aber verliebt sich selbst in diese Schönheit. Nach vielen Prüfungen heiraten die beiden auf dem Olymp.

Übersetzungen und Textausgaben davon gibt es in großer Zahl (vgl. http://www.gottwein.de/Lat/Apul/met.4.28.php). Die Rezeption dieser wunderbaren und wundersamen Erzählung in Malerei (vom 15. Jahrhundert an werden bildliche Darstellungen der Metamorphosen, vor allem auch von Amor und Psyche beliebt), Literatur und Film durch die Jahrhunderte bis heute ist fast unüberschaubar und die Beschäftigung damit für sich schon lohnend. Warum diese märchenhafte Novelle die Menschen von Anfang an so sehr fasziniert hat, „ist ein Rätsel – aber eines, das Sie im Lauf der Lektüre lösen sollen und auch können. Sie werden lernen, Literatur symbolisch und tiefenpsychologisch zu lesen und zu deuten und dieser Prozess wird Sie in die Tiefen Ihrer eigenen Seele führen” (Vorwort). 

Rudolf Henneböhl ist überzeugt, dass die Erzählung von Amor und Psyche für den Leser zu einem Lebensbegleiter werden kann, der hilft, Tiefenstrukturen der Seele zu entdecken und eine Sprache dafür zu finden. „Im Unterricht werden Sie Amor und Psyche als eine Seelenreise und als eine Entwicklungsgeschichte lesen und verstehen. In deren Verlauf entwickeln sich die beiden Protagonisten – der Liebesgott Amor und die Prinzessin Psyche (gr. Seele) – jeder für sich so weit, dass sie schließlich zusammenkommen und gemeinsam ihr Glück finden. Ein Happy End ist also schon vorprogrammiert. Dabei ist der Weg dahin keineswegs einfach und deshalb ist es kein kitschiger Liebesroman, sondern ein tiefenpsychologisches Drama, das von beiden Protagonisten sehr intensiv erlebt und durchlitten wird. Amor durchlebt dabei ebenso wie Psyche den Schmerz und die Anstrengungen des Erwachsenwerdens; denn nur, wer in seiner eigenen Seele gereift ist und aus dieser Reife heraus Verantwortung für den anderen übernehmen kann, ist ,erwachsen’ und damit beziehungsfähig geworden” (S. 3).

Rudolf Henneböhl reduziert den längeren Text des Märchens auf die entscheidenden Passagen (bei der Lektüre im Unterricht wird man immer noch auswählen müssen), präsentiert ihn in großer Schrifttype und mit Zeilenabstand, Vokabel-angaben werden durch Unterstreichung im Text kenntlich gemacht; die erforderlichen Vokabelangaben findet man unter dem lat. Text. Dass das Betrachten und Lesen der Bilder höchsten Genuss bedeutet, weiß man längst seit dem Erscheinen der Ovid-, Vergil- und Seneca-Ausgaben (ein Latein-kreativ-Band zu Catull ist in Vorbereitung). Ein spezielles Farbleitsystem lässt auf den ersten Blick Interpretationsaufgaben und kreative Aufgaben von Informationstexten/Erklärungen und Zusatztexten und Zusatzaufgaben unterscheiden. Von den insgesamt 170 Buchseiten nimmt „Amor und Psyche” ganze 100 Seiten ein. Auf den übrigen Seiten findet man eine Einführung in Leben und Werk des Apuleius sowie in den religiös-kulturellen Kontext seiner Zeit. In ausgewählten Schlüsseltexten kann man auch in die Lektüre der Metamorphosen einsteigen (z.B. Vorwort, Verwandlung des Lucius in einen Esel und seine Rückverwandlung). In einem fast 40-seitigen Anhang findet man Erläuterungen zu Sprache, Satzbau und Stil des Apuleius, Hilfen zu Wortschatz und zur immanenten Wiederholung der Grammatik sowie zu seinen Stilmitteln, außerdem Impulse zur Methodik der Bildinterpretation und Zugang zu  Deutungshilfen der modernen Psychologie. Mit einem Literaturverzeichnis und einem Begriffsverzeichnis schließt der Band. 

„Amor und Psyche ist” – das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen – „ein genialer Stoff für die Oberstufenlektüre – eine märchenhafte Novelle, die durch ihren Abwechslungsreichtum, ihren tiefenpsychologischen Gehalt und ihre jugendnahe Thematik, nicht zuletzt durch die großartige Sprachform zur Lektüre einlädt und vielfältige Interpretationsmöglichkeiten bietet”.

Fangen Sie einfach damit an: „Erant in quadam civitate rex et regina. Hi tres numero filias forma conspicuas habuere. Sed maiores quidem natu, quamvis gratissima specie, idonee tamen celebrari posse laudibus humanis credebantur. At vero puellae iunioris tam praecipua, tam praeclara pulchritudo ne exprimi ac ne sufficienter quidem laudari sermonis humani penuria poterat ...”.


De simia Heidelbergensi. Das Märchen vom Heidelberger Affen,
von Michael von Albrecht und Michael Lobe, Reihe Libellus - Initia, Textausgabe, Klassen 8/9, Umfang: 40 Seiten,
ISBN: 978-3-12-623191-6, 15,50 €

 

Aristoteles, Biologische Schriften, Griechisch und Deutsch, Von Heinrich Balss, 301 S., 
Heimeran-Verlag, München 1943. Print on Demand in der Reihe Tusculum bei De Gruyter, Berlin 2018, 
ISBN 9783110360639, 34,95 €

Aristoteles BiologSchriften

Als Student an der Universität Regensburg schlich ich in den ersten Semestern oft die langen Regale bei den Germanisten, den Latinisten und Gräzisten entlang und entdeckte für mich das Prinzip der Bibliothek. An meinem Heimatort im Bayrischen Wald gab es damals keinen Buchladen, nur eine leicht verstaubte Volksschulbibliothek mit Büchern bis unter die Decke und einem spezifischen Schulhausgeruch; immerhin.

Zu meinen Entdeckungen in der vorzüglich ausgestatteten, damals nagelneuen Regensburger Universitätsbibliothek gehörte ein Heimeran-Bändchen mit den Biologischen Schriften des Aristoteles in der Übersetzung von Heinrich Balss aus dem Jahr 1943. Aristoteles habe ich im Griechischunterricht als prägnant formulierenden Autor und Fachmann für Politik und Ethik kennen gelernt, seine Unterscheidung zwischen dem Angenehmsten und Besten etwa fand ich sehr griffig. Dass Aristoteles zu meiner Überraschung auch in den Biologischen Wissenschaften zu Hause war, erschloss mir das Buch von Heinrich Balss (Professor und Hauptkonservator an den Zoologischen Staatssammlungen München, 1937 auf der Grundlage der Nürnberger Gesetze in den ,vorzeitigen Ruhestand’ versetzt, 1946 erfolgte die Wiederanstellung) erst Jahre später.

Aristoteles redet auch in diesem Fach Klartext: „Deshalb soll man sich nicht kindischerweise langweilen bei der Untersuchung der unbedeutenden Lebewesen. Es liegt in jedem Geschöpf der Natur irgendetwas Wunderbares. Und wie Heraklit zu den Fremden gesagt haben soll, die ihn gerne sprechen wollten, aber beim Eintreten ihn sich am Backofen wärmen sahen und stehenblieben – er rief ihnen nämlich zu, sie möchten nur getrost hereintreten, denn auch hier seien Götter –, ebenso soll man an die Untersuchung eines jeden lebendigen Wesens herangehen, nicht mit grämlichen Gesicht, sondern in der Gewissheit, dass in ihnen allen etwas Natürliches und Schönes steckt. In den Werken der Natur – und gerade in ihnen – herrscht die Regel, nicht blinder Zufall, sondern Sinn und Zweck. Der Endzweck aber, um dessentwillen ein Ding geschaffen oder geworden ist, gehört in das Reich des Schönen. Wer sich aber wirklich einbildet, die Betrachtung der anderen lebenden Wesen sei etwas Niedriges, der möge auch von seiner eigenen Person diese Meinung hegen, Man kann dann auch nicht ohne Naserümpfen die Bestandteile der Gattung Mensch betrachten: Blut, Muskeln, Knochen, Adern und dergleichen ... (S.11f).

Nun, ich will hier nicht die Biologischen Schriften des Aristoteles vorstellen (eine neuere Übersetzung gibt es innerhalb der Gesamtausgabe der Werke des Aristoteles im Akademie Verlag / Verlag De Gruyter – In einer Besprechung ist zu lesen: „Der emeritierte Freiburger Gräzist Wolfgang Kullmann hat seit mehr als vier Jahrzehnten jenen Teil der Aristoteles-Forschung bereichert, um den viele Kollegen lieber einen Bogen schlagen, obwohl er etwa die Hälfte des Aristotelischen CEuvres ausmacht, die Biologie mit Schwerpunkt auf der Zoologie.”), sondern auf einen speziellen Service des Verlags De Gruyter hinweisen (von dem seit einigen Jahren die TUSCULUM Reihe betreut wird), nämlich alle jemals erschienenen (also speziell die älteren)  Titel durch das Print on Demand-Verfahren wieder zugänglich zu ma-chen; Sie bestellen den gewünschten Band in Ihrer Buchhandlung oder im Online-Shop des Verlags und das Exemplar wird für Sie extra gedruckt – eben auch alle bislang vergriffenen Titel und Raritäten wie Tacitus‘ Tiberius. Roms Geschichte seit Augustus‘ Tod, Arbeos Leben und Leiden des Hl. Emmeram (1953) und der Band Pompejanische Wandinschriften. Die „Wandinschriften” habe ich vor Jahren in einem Antiquariat entdeckt (wo ich immer nach älteren Tusculum-Ausgaben suche), auf die Biologischen Schriften des Aristoteles musste ich neun Tage warten, bis sie für mich gedruckt waren. 

Die „Sammlung Tusculum” stellt die umfangreichste Sammlung griechischer und lateinischer Werke mit deutscher Übersetzung dar. Zur Geschichte der von Ernst Heimeran 1923 begründeten Sammlung TUSCULUM gibt es sogar einen Wikipedia-Artikel – https://de.wikipedia.org/wiki/Sammlung_Tusculum – es gibt von Johannes Saltzwedel eine „Bibliographie der zweisprachigen Ausgaben antiker Literatur. Von Aesop bis zum Zwölftafelgesetz”http://www.venturus.de/Tuscbib.pdf. Darin findet man ein nummeriertes Verzeichnis aller erschienenen Ausgaben und Auflagen samt Umfang, Bindungsart und manchen ergänzenden Details, fast wie bei Briefmarken, Modellautos oder Modelleisenbahnen. Anlässlich ihres 90-jährigen Jubiläums wurde die komplette Reihe „Sammlung Tusculum” digitalisiert. Seit März 2014 werden die über 270 Titel aus den Jahren 1923 bis 2013 als „Tusculum Online” in einem eBook-Paket auf der De Gruyter-Plattform angeboten (vgl. http://www.digento.de/titel/10740836.html) – „eine gebührende Würdigung eines wichtigen Stücks deutscher Verlagsgeschichte”.


Griechische Inschriften als Zeugnisse der Kulturgeschichte, Griechisch – deutsch, herausgegeben von Matthias Steinhart,
188 S., Walther de Gruyter GmbH, Berlin/Boston 2017, 
ISBN 978-3-11-055324-6, 29,95 €, 
als e-book 29,95 €

Cover Griech. Inschriften

Beim ersten Aufschlagen des Buches geriet ich auf Seite 73 an den Becher des Phidias. Als ich 1970 zum ersten Mal Olympia besuchte, war das 7,7 cm hohe Fundstück mit der Aufschrift Φειδίο εἰμὶ – Ich gehöre dem Phidias in aller Munde. In dem hier anzuzeigenden  TUSCULUM-Bändchen liest man dazu: „Der Becher mit der Besitzerinschrift eines der berühmtesten Bildhauer der griechischen Klassik (um 470–420 v. hr.) wurde im Jahr 1958 in Auffüllungen südlich der Werkstatt des Phidias in Olympia gefunden, die eigens für die Fertigung des Kultbildes im Zeustempel erbaut wurde. Die knapp 12,50 Meter hohe Götterstatue des Zeus, deren Oberfläche wie bei der Athena im Parthenon auf der Akropolis aus Gold und Elfenbein gearbeitet war, gehörte zu den Sieben Weltwundern. In der Werkstatt wurden zahlreiche Werkzeuge, Materialreste (Elfenbein, Bergkristall, Glas), Tonformen (für die Gestaltung von Gewandpartien in Glas) und auch Keramik gefunden. Besonderes Aufsehen erregte freilich der kleine, in einer für Gebrauchskeramik üblichen Technik schwarz gebrannte Trinkbecher, auf dessen Unterseite die Besitzerinschrift des Phidias in den tongrundigen Teil um ein aufgemaltes Kreismotiv eingeritzt wurde; dass der Becher („Ich bin”) „spricht”, ist dabei seit den frühesten Besitzerinschriften üblich” (S. 73f). – Der Fund wurde freilich lange Zeit für einen Archäologenscherz gegenüber dem damaligen Grabungsleiter gehalten, diese These habe ich noch in den 90-er Jahren gehört. Dazu heißt es in diesem Buch: „Immer wieder geäußerte Zweifel an der antiken Entstehung der Inschrift sind durch das Vorhandensein von Sinter in der Einritzung widerlegt” (S. 74). Der Becher des Phidias ist heute im Neuen Museum in Olympia zu bewundern.

Dieses TUSCULUM-Bändchen gehört bereits zu denen, bei welchen die vom wissenschaftliche Beirat unter den Reihenherausgebern Niklas Holzberg und Bernhard Zimmermann seit einigen Jahren angestrebten Neuerungen greifen, die sowohl die inhaltliche Struktur als auch die thematische Bandbreite betreffen. So werden vertiefende Essays zu spezifischen Aspekten des einzelnen Werkes, seinem historischen Kontext und seinem Nachleben in die neuen Bände aufgenommen. Dieser Band zeichnet sich durch viele Abbildungen aus, durch eine Bibliographie von fast 40 Seiten zu jeder der 65 ausgewählten griechischen Inschriften von den Anfängen der Schriftkultur und der Archaischen Zeit bis in die Neuzeit. Auch dies hat zu tun mit den Intentionen der Herausgeber: Die Sammlung Tusculum insgesamt wird sich für spätantike, christliche sowie byzantinische und neulateinische Literatur öffnen – auch diese werden digital erhältlich sein.

Der Band bietet erstmals einen deutschsprachigen Überblick zur griechischen Epigraphik in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung. Die Inschriften werden zum größten Teil abgebildet sowie ediert, neu übersetzt und diskutiert. Aufgenommen sind 65 aussagekräftige epigraphische Zeugnisse vom 8. Jh. v. Chr. bis in die Renaissance, die Einblicke in unterschiedliche Bereiche wie religiöse Bräuche, Kunst und Handwerk, antike Schule und Bildung oder ökonomische Aspekte geben. Die Auswahl berücksichtigt zum einen typische Textgattungen (wie Weih- oder Grabinschriften), bietet zum anderen aber auch singuläre Inschriften wie die Wünsche eines Ölverkäufers an Zeus oder die Klage eines Lehrlings. Mit Zeugnissen von Griechenland bis Afghanistan werden weite Teile der antiken Welt berücksichtigt. 

Es ist nicht ganz leicht, aus den 65 Inschriften die liebenswürdigste, interessanteste, originellste, pfiffigste zu finden. Besonders angetan hat es mir die Nr. 24: Liebespaar in Ägypten, eingeritzt auf der Standfläche eines Bechers aus Athen, gefunden im ägyptischen Naukratis, heute ausgestellt im Ashmolean Museum in Oxford. 

Γοργίας φιλεῖ [Τά]μυνιν 

καὶ Τάμυνις Γοργίαν φιλ[εῖ].

Gorgias liebt (Ta)mynis

und Tamynis Gorgias liebt.

Die Inschrift ist durchgängig von einer Hand, wohl von dem dort erwähnten Gorgias; das scheinbar amouröse Zwiegespräch ist wohlkalkuliert. Dies auch deswegen, weil sich bis zur zweiten Nennung von Gorgias ein perfekter Vers ergibt, der mit der Wiederholung von „liebt” jedoch nicht mehr aufgeht.

Der für seinen Humor bekannte britische  Archäologe John D. Beazley (1885–1970) hat ,rekonstruiert’, wie es dazu gekommen ist: 

,Gorgias schreibt seinen Tetrameter und liest ihn Tamynis vor, seiner kleinen ägyptischen Freundin, die keine große Gelehrte ist.

Tamynis: Wo ist 'Gorgias liebt Tamynis?’ –

Gorgias: Hier, in der ersten Zeile. – 

T. Und wo ist: 'Tamynis liebt Gorgias?'

G. Hier, in der zweiten Zeile.

T. Wo ist 'Tamynis'?

G. Hier!

T. Und wo ist Gorgias?

Go. Hier!

T. Und wo ist 'liebt'?

G. Oh, das steht in der ersten Zeile.

T. Aber ich möchte es in meiner Zeile!

G. Aber das ruiniert das Versmaß!

T. Was ist ein Versmaß?

G.  .......

T. Ich möchte es in meiner Zeile! – 

(Weint. Gorgias resigniert) (S. 69).