Die Beobachtung der Entwicklung des altsprachlichen Unterrichts in Berlin und Brandenburg zählt zu den wichtigen Aufgaben unseres Verbands. Im Folgenden wollen wir daher die aktuellen Zahlen der Latein- und Griechischlernenden veröffentlichen und jeweils eine Einordnung dieser Zahlen aus unserer Perspektive danebenstellen. Um einen Bezugspunkt zu haben, ergänzen wir die aktuellen Zahlen um ältere: Dies dient erstens dazu, mögliche langfristige Entwicklungen und Tendenzen erkennen und beurteilen zu können, zweitens, um auch ganz konkret auf mögliche Auswirkungen der Pandemie einzugehen. Neben den Zahlen des aktuellen bzw. des vergangenen Schuljahres stehen daher die Zahlen aus dem Schuljahr 2012/13 sowie die des Schuljahres 2019/20. Anhand der älteren Zahlen lässt sich die Gesamtentwicklung der Lernenden ablesen, die jüngere Zahl ist mit Blick auf die Pandemie und eventuelle Auswirkungen derselben relevant.
Latein in Brandenburg
Das Statistikportal Schule konnte Daten für die Jahre 2005/06 bis 2021/22 bereitstellen. Leider gibt es keine Daten getrennt nach Sek I und II, die nach der GOST-Reform mit Wegfall der Belegverpflichtung der 2.FS besonders interessant wären.Die Zahl der Lateinlernenden ist stark gesunken, was man vor allem mit dem Wegfall der Belegverpflichtung in der GOST erklären kann. Erfreulicherweise ist die Zahl der Schulen, die Latein als 2. FS anbieten, gestiegen. Diesen SchülerInnen wird bereits am Ende der 10. Jahrgangsstufe das Latinum zuerkannt, so dass der größte Teil den Lehrgang beendet und den Kurs in der GOST nicht mehr wählt.
Mit Beginn des Pilotprojektes jahrgangsübergreifender Unterricht haben 16 Schulen solche Kurse beantragt und eingerichtet. Das MBJS prüft aktuell die Möglichkeit, schulübergreifend einen Onlinekurs für die Fortführung der 3. FS als Grundkurs in der GOST einzurichten. Derzeit gibt es im Land nur sechs Schulen mit Leistungskursen, an denen die SchülerInnen das dezentrale Abitur im Fach Latein ablegen.
Latein in Berlin
Die Zahlen aus Berlin stammen von der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie bzw. konkret aus dem Referat Statistik. Angefragt wurden die Zahlen im Januar und im März 2023, diese sind daher aktuell. Die Zahlen wurden von der Verwaltung getrennt mit Blick auf die Sekundarstufe I und II herausgegeben. Wir behalten diese Unterteilung im Folgenden bei.
Tabelle 2 zeigt die Gesamtentwicklung der Lateinlernenden in der Sekundarstufe I, aufgeschlüsselt auf die beiden hier relevanten Schulformen Gymnasium und ISS; ebenfalls angeben ist der prozentuale Anteil, sowohl mit Blick auf die Gesamtzahl bzw. die jeweiligen Schulformen. Um einen Vergleich zu ermöglichen, stehen neben der schuljahresübergreifenden Betrachtung auch die Zahl der Lernenden der beiden großen modernen Fremdsprachen Französisch und Spanisch.
Während die Gesamtzahl der SchülerInnen in Berlin in den letzten zehn Jahren stark angewachsen ist – besonders stark an den ISSen, in kleinerem Maßstab aber auch an den Gymnasien –, hat das Fach Latein deutliche Rückgänge zu verzeichnen: Insgesamt lernen im aktuellen Schuljahr 2022/23 beinahe 3000 SchülerInnen weniger Latein als noch vor zehn Jahren; prozentual bedeutet dies einen deutlichen Rückgang in der Gesamtzahl der SchülerInnen, aber durchaus auch in den Zahlen der jeweiligen Schulform: Lernte im SJ 2012/13 noch jeder bzw. jede vierte SchülerIn am Gymnasium Latein, ist es aktuell kaum mehr jede bzw. jeder fünfte; an den ISSen fällt der Rückgang noch deutlicher aus. Der in absoluten Zahlen große Rückgang hat sich dabei zwar bereits vor der Pandemie ereignet; mit Blick auf die Gesamtentwicklung der Schülerinnen, die ja ansteigend ist, geht der Anteil der Lateinlernenden jedoch prozentual weiterhin zurück. Interessant für den Vergleich und die Beurteilung der Situation um Latein ist der Blick auf die anderen großen zweiten bzw. dritten Fremdsprachen Französisch bzw. Spanisch: Die Anzahl der Spanischlernenden hat sich in den letzten Jahren beinahe verdoppelt; Französisch hat SchülerInnen verloren, wobei dieser Verlust aufgrund der ansteigenden Zahl an SchülerInnen prozentual deutlich größer ausfällt als in den absoluten Zahlen. Insgesamt ist Spanisch die Fremdsprache mit den großen Zugewinnen, Französisch und Latein verlieren nach wie vor SchülerInnen.
Man kann daher zusammenfassend sagen, dass Latein aktuell von den steigenden SchülerInnenzahlen (ebenso wie Französisch, aber anders als Spanisch) nicht profitiert, ja sogar weiterhin auch absolut SchülerInnen verliert. Die Befürchtung, dass die Corona-Pandemie einen markanten Einfluss auf die Entwicklung gehabt haben könnte – wegen fehlender Werbemöglichkeiten, dem Ausfall von Stunden im Wahlpflichtbereich oder dem Fokus von SuS auf „wesentlichere“ Fächer – scheint aktuell allerdings eher unbegründet.
Da Latein als Fach in den Schulen ganz unterschiedlich verankert ist, ist neben der Gesamtentwicklung für eine Einschätzung auch die Entwicklung mit Blick auf den Beginn des Lateinunterrichts interessant: In Berlin kann Latein grundsätzlich ab Klasse 5 bzw. 6 gelernt werden (Gymnasien mit altsprachlichem Bildungsgang und Schnelllernerklassen), ab Klasse 7 als reguläre 2. Fremdsprache (an Gymnasium und ISS) und ab Klasse 8/9 als Wahlpflichtfach – ebenfalls an Gymnasien und ISSen.1 Die hier präsentierten Zahlen stellen dabei leider keine absoluten Zahlen dar, sondern sind nur Annäherungen, da keine genaue Statistik darüber geführt wird, zu welchem Zeitpunkt wie viele SchülerInnen mit einer FS bzw. konkret Latein neu beginnen.
Zu den Zahlen sind folgende Punkte festzuhalten: Die Zahl der Lateinlernenden, die in Klasse 5/6 beginnen, ist in den letzten 10 Jahren nicht nur konstant geblieben, sondern sogar leicht angestiegen. Die Zahl der Lernenden ab Klasse 7 (als 2. FS) ist in den letzten Jahren leicht gesunken, stark gesunken ist die Zahl der Lernenden im Wahlpflichtbereich. Bemerkenswert scheinen in diesem Zusammenhang damit zwei Punkte: Der Rückgang der Lateinlernenden ist offenbar insbesondere bei Latein als 3. FS im Wahlfpflichtbereich zu verorten und in kleinerem Maße bei Latein als 2. FS. Betroffen sind davon beide Schulformen, wobei der Lateinunterricht an den ISSen, der sowieso nicht sonderlich verbreitet war und ist, prozentual, wie in Tabelle 2 gesehen, noch stärker zurückgeht. Zur Einordnung dieser Entwicklung sollte man sich dazu aber die bundesweite Entwicklung anschauen: Mit der Verkürzung der gymnasialen Schulzeit auf acht Jahre ist deutschlandweit ein Einbruch der Zahl der Lernenden in den Fremdsprachen – außer Englisch und Spanisch – zu verzeichnen; dass Latein also gerade in diesen Klassen SchülerInnen verloren hat, passt ebenso in diesen Trend wie die Tatsache, dass Latein wie Französisch grundsätzlich an Lernenden verliert.2
Erfreulich scheint in diesem Zusammenhang, dass die Zahlen derjenigen, die Latein bereits in Klasse 5/6 beginnen, konstant geblieben sind. Zwar ist die Sprache durch die Regelungen des altsprachlichen Bildungsgangs, die Latein festschreiben, bzw. schulinterne Festlegungen geschützt; gleich-
wohl ist das Fach an diesen Schulen offenbar programmatisch so eingebunden, dass es für Eltern und SchülerInnen weiterhin attraktiv scheint, besonders früh mit Latein zu beginnen.
Erweitert man den Blick über die Sekundarstufe I hinaus auf die Oberstufe, sind zwei Fragen von Interesse: Wie viele SchülerInnen setzen Latein überhaupt fort? Wie sieht die Verteilung nach Grund- und Leistungskursen aus? Auch hier ist neben der aktuellen Situation erneut der Vergleich mit den anderen Fremdsprachen sowie die Entwicklung der letzten zehn Jahre interessant.
Tabelle 4 zeigt die Situation im Übergang zwischen Sekundarstufe I und II: Wiederum deutlich ist die insgesamt rückläufige Zahl der Lateinlernenden, hier konkret ausgeführt für Klasse 10 bzw. die gymnasiale Oberstufe mit den Klassen 11+12 (am Gymnasium) bzw. 12+13 (an den ISSen), als auch die für das Fach schwierige Übergangssituation nach Klasse 10: Rein statistisch gesehen setzt von den SchülerInnen, die in Klasse 10 Latein lernen, kaum mehr als die Hälfte den Lateinunterricht überhaupt fort. Dass dies gerade zu diesem Zeitpunkt geschieht, hängt sicher mit der Möglichkeit zusammen, ohne eine – oft als schwer empfundene – zweite Fremdsprache in die Oberstufe gehen zu können.3
Weiterhin haben einige SuS zu diesem Zeitpunkt ihr Latinum bereits erworben; andere haben ihre Verpflichtungen erfüllt, die sich aus dem Wahlpflichtbereich ergeben; hinzu kommt die (gefühlte) Belastung in der gymnasialen Oberstufe, der Fokus auf die Leistungskurse – und sicher vielfach auch schulische Entscheidungen, keine bzw. nur jahrgangsübergreifende Lateinkurse einzurichten, so dass die Wahl des Fachs schwierig ist bzw. mit negativen Konsequenzen einhergeht (Kurse in Tagesrandzeiten etc.).
Zwar ist die Zahl derjenigen, die Latein nach der 10. Klasse abwählen, wie gesehen prozentual sehr groß; Tabelle 5 macht allerdings deutlich, dass Spanisch und Französisch vor demselben Problem stehen bzw. dass die Abwahl dieser Fremdsprachen noch viel deutlicher ausgeprägt ist: So lernen zwar in der Sek I mehr als doppelt so viele SuS Spanisch als Latein und mehr als vier mal so viele SuS Französisch. Als Grundkurs wird das Fach allerdings in den drei Sprachen von einer fast identischen Zahl gewählt (was allerdings durch die deutlich höhere Zahl an SuS in den Leistungskursen Spanisch und Französisch etwas relativiert wird). Dies zeigt in positiver Hinsicht, dass Latein nach Klasse 10 zwar Lernende verliert, diese Zahl aber durchaus höher sein könnte, der Lateinunterricht also eine gewisse Bindungskraft entwickel. Dies mag an gutem Lateinunterricht liegen bzw. an Lehrkräften, die mit höherer Motivation für ihr Fach tätig sind; daran dass die Werbung für Latein an den Schulen gut funktioniert, wenn die SuS erst einmal für den Lateinunterricht gewonnen sind; dass die Motivation, mit dem Fach freiwillig fortzusetzen, durchaus vorhanden ist; dass z.T. allerdings auch das Latinum – je nach Start des Unterrichts – auch erst in der Oberstufe erworben werden kann.
Der Blick auf die Leistungskurse bestätigt dieses Bild: So ist sichtbar, dass alle Sprachen ebenso wie bei den Grundkursen auch bei den Leistungskursen Schwierigkeiten haben, SchülerInnen für diese Kurse zu gewinnen. Latein zeigt sich hier allerdings relativ stabil: Die Zahl der SuS in Latein-Leistungskursen ist trotz des deutlichen Rückgangs an Lateinlernenden in der Oberstufe insgesamt über die letzten 10 Jahre nicht nur stabil geblieben, sondern zwischenzeitlich sogar angestiegen.
Rein prozentual entscheiden sich erneut deutlich mehr SuS auch für einen Leistungskurs Latein, als dies bei Französisch und Spanisch der Fall ist. Da hier keine Latinumsregelungen mehr greifen und die Wahl eines Leistungskurses ja eine sehr individuelle Entscheidung ist, scheint sowohl die unterrichtliche Tätigkeiten von Lehrkräften an den Schulen, die einen Latein LK anbieten, als auch die Motivation zur Sache durchaus so vorhanden, dass die Wahlzahlen zumindest aktuell stabil zu bleiben scheinen.
Der Rückgang der Lateinlernenden lässt sich abschließend auch an schulischen Entwicklungen erkennen: Wurde das Fach Latein im SJ 2012/13 noch an 124 Schulen angeboten, ist auch diese Zahl deutlich zurückgegangen; leider liegen keine Zahlen darüber vor, ob dies beide Schulformen betrifft
oder ob der Rückgang an Schulen, die das Fach überhaupt anbieten, schwerpunktmäßig Gymna-sien oder – was etwas zu vermuten ist – besonders die ISSen betrifft. Festzuhalten bleiben daher für Latein einige problematische wie positive Aspekte:
- Die Zahl der Lateinlernenden in Berlin ist rückläufig.
- Betroffen ist besonders der Bereich der 3. FS.
- An den ISSen nimmt Latein nur eine marginale Rolle ein.
- Mit dieser Entwicklung liegt Berlin im Bundestrend, ebenso wie Latein ist auch Französisch von der Entwicklung betroffen.
- Die Zahl der Lernenden in Klasse 5/6 ist stabil, die Zahlen für Klasse 7 sind relativ stabil.
- Die Zahl derer, die Latein in der Sek II fortsetzen, ist im Vergleich mit Französisch und Spanisch vergleichsweise hoch; gleichwohl ist der Verlust an Lernenden nach Klasse 10 signifikant.
- Leistungskurse in Latein werden in der Relation zu den anderen Sprachen prozentual gut angewählt.
Altgriechisch in Berlin und Brandenburg: Zahlen und Einordnung
Anders als für Latein ist die Betrachtung der Zahlen für Griechisch weniger komplex: In Brandenburg wird Griechisch nach wie vor nur an einer privaten Schule (dem Evangelischen Gymnasium Hermannswerder) unterrichtet, eine Darstellung der Zahlen erübrigt sich daher. In Berlin sind es zahn Schulen, an denen Griechisch reguläres Unterrichtsfach ist, wobei zwischen den Schulen deutliche Unterschiede festzustellen sind: Nach wie vor ist Griechisch an einigen Schulen verpflichtende
3. FS, an anderen Schulen steht es im altsprachlichen Bildungsgang in Konkurrenz zu anderen Fremdsprachen oder den Angeboten des Wahlpflichtbereichs. Der Unterrichtsbeginn liegt dabei zwischen Klasse 7 und Klasse 9, die Zahl der in der Sek I insgesamt unterrichteten Stunden schwankt zwischen 9 und 14.
Im Fall von Altgriechisch ist in Berlin keine auffällige Veränderung festzustellen – was sicher als positiv zu bewerten ist: Das Fach hat in den letzten zehn Jahren in der Sekundarstufe I keine Lernenden verloren, sondern die Zahlen sind, bei leichten Schwankungen nach oben, konstant geblieben. Konstant ist ebenfalls die Zahl der Schulen, an denen Griechisch unterrichtet wird.
Grundsätzlich schwierig ist auch für Griechisch jedoch der Ü bergang in die Sekunderstufe II: Die Zahlen derjenigen, die Altgriechisch in der Sek II fortsetzen, sind deutlich gesunken, was sich sowohl bei den SuS in Grund- als auch denen in Leistungskursen feststellen lässt. Allerdings wählt immerhin fast jeder vierte Lernende das Fach als Leistungskurs, was im Vergleich zu den übrigenFremdsprachen erneut eine gute Quote darstellt. Für eine Einordnung wichtig scheint dabei zuerst Arbeit, die innerhalb der Fachschaften geleistet wird: Offenbar investieren die KollegInnen viel Mühe darin, die Zahlen der Lernenden insgesamt stabil zu halten; auf eine zumindest grundsätzlich gute Qualität des Unterrichts ist sicher auch aus der prozentual hohen Zahl an SchülerInnen zu schließen, die das Fach in der Sek II fortsetzen oder sogar als LK wählen. Auch das Fach Griechischen scheint damit für diejenigen, die einmal mit Griechisch angefangenm haben, vielfach so interessant zu sein, dass es bis zum Ende der Schullaufbahn beibehalten oder sogar als Prüfungsfach gewählt wird. Allerdings ist dabei zu beachten ist dabei, dass das Fach durch die Regelungen des altsprachlichen Bildungsgangs einen gewissen Schutz genießt (und an einigen Schulen ja auch in der Sek II fortgesetzt werden muss).
Festgehalten werden kann daher für Griechisch:
- Die Gesamtzahl der Lernenden in der Sek I ist konstant, ebenso wie die Zahl der Schulen mit Griechischangebot.
- Verloren hat auch Griechisch zuletzt mehr Lernende am Übergang zwischen Sek I und II.
- Insgesamt wird das Fach von von denjenigen, die das Fach fortsetzen, mit einer relativ hohen Quote als Leistungsfach gewählt.