„Zwei Segel erhellend die tiefblaue Bucht! / Zwei Segel sich schwellend zu ruhiger Flucht! / Wie eins in den Winden sich wölbt und bewegt, / wird auch das Empfinden des andern erregt. / Begehrt eins zu hasten, das andre geht schnell, / verlangt eins zu rasten, ruht auch sein Gesell.“ Das Liebesgedicht Conrad Ferdinand Meyers ist nicht „Sympathie“, sondern „Zwei Segel“ überschrieben; aber das Bild dieser beiden im Wechsel der Winde sich wölbenden, bewegenden, „empfindenden“ Segel ist aufs Schönste dazu angetan, die im Sprachgebrauch arg verblasste altgriechische „Sympathie“ wieder zum Leuchten zu bringen.

Am Anfang steht hier das neuerdings in Misskredit gekommene leidenschaftliche „Pathos“. Ein Politiker, der sich im Wahlkampf zu hohem Pathos versteigt, erregt damit heute eher Antipathie als Sympathie. Das Misstrauen gegenüber den rhetorischen Künsten hat alles Pathetische, das „echte“ wie das „falsche“ Pathos, in Mitleidenschaft gezogen, und mit all dem sind wir unversehens mitten in diese griechisch-lateinisch-deutsche Wortgeschichte hineingeraten.

Das griechische Verb pás-chein oder patheín, im Schulvokabular „leiden“, bedeutet allgemein „eine Einwirkung erfahren, erleiden“, das páthos bezeichnet allgemein eine solche „Einwirkung“, etwa einen Sinneseindruck, besonders ein „Erleiden“ und eine „Krankheit“ – daher die „Pathologie“ –, und schliesslich einen starken Affekt. Liebe und Hass, Zorn und Furcht verstand die Antike nicht als Regungen, die in uns aufkommen, sondern umgekehrt als Gewalten, die uns von außen überkommen.

Wie im Mythos der geflügelte Eros oder Amor mit seinen Pfeilen, so zeugt in der Sprache dieses griechische páthos von dem „Erleiden“ eines Affekts; das lateinische Fachwort „Affekt“ bezeichnet buchstäblich etwas derart uns „Angetanes“.

Neben dem griechischen pás-chein steht das sprachverwandte lateinische pati, „erleiden, erdulden“, das im „Patienten“ und in der „Patience“ fortlebt, neben dem griechischen páthos die lateinische passio, „Leiden, Leidenschaft“, die uns durch die „Passion“ oder die „Patience“ geläufig ist. So ist das alte Wort in drei Sprachen und dreierlei Bedeutung ins Deutsche gekommen: prägefrisch griechisch im „Pathos“ und in allem „Pathetischen“, lateinisch in der „Passion“ und dem „passionierten“ Patience-Spieler, und vollends in der Lehnübersetzung „Leidenschaft“ und der Verdoppelung eines „leidenschaftlichen“ Pathos.

Auch die sympátheia, wortwörtlich das „Mit-Erleiden, Mit-Empfinden“, ist in dreierlei Gestalt zu uns gelangt: geradewegs als „Sympathie“ mit dem Gegenbegriff der „Antipathie“ und über eine spätlateini-
sche compassio in den Lehnübersetzungen des „Mitleids“ und der „Mitleidenschaft“. Wo wir heute von psycho-somatischen Krankheitserscheinungen sprechen, spricht die antike Medizin von einer sympátheia der Art, dass Seele und Körper einander wechselseitig in „Mitleidenschaft“ ziehen. Und wo wir heute von Resonanz, wortwörtlich „Widerhall“, sprechen, spricht die antike Physik von einer sympátheia in dem Sinne, dass klingende Saiten oder Bronzen einander wechselseitig „mitschwingen, mitklingen“ lassen.

So verstanden, präsentiert sich die menschliche „Sympathie“, gewiss das sympathischste Mitglied dieser ganzen Wortfamilie, als eine seelische Gleichgestimmtheit, in der zwei Menschen wie jene in den wechselnden Winden bewegten, erregten Segel in schönem Einklang jeweils Mit-Liebe und Mit-Hass, Mit-Zorn und Mit-Furcht, Mit-Freude und Mit-Leiden empfinden. Was bedeutet dagegen selbst eine „volle Sympathie“ für diese oder jene Person oder Sache? Was ist dagegen, wie wir sagen, eine „sympathische Person“ oder eine „sympathische Geste“? In einem so saloppen wie präzisen Bild können wir heute erklären, zwei Menschen hätten „die gleiche Wellenlänge“. Da scheinen Antike und Gegenwart, die alten und die neuen Sprachen einander selbst in einer gleichgestimmten „Sympathie“ auf der gleichen Wellenlänge zu begegnen.