— von Josef Rabl

Am 21.04.2023 ist er gestorben, 80-jährig, ein fleißiger, belesener, innovativer, vielseitiger, kunstbeflissener, reisefreudiger Kollege, ein großes Vorbild, kenntnisreich und immer auf der Höhe der Zeit. Als jungen Lehrer hat es mich schwer beeindruckt, als er erzählte, dass seine Schüler im LK Latein an der Gelehrtenschule Kiel auf eigene Faust ein Computer-Programm entwickelt hätten, das einen lateinischen Text kolometrisch zerlege und damit die Lektüre erleichtere. So etwas konnte Peter Petersen, seine Schüler über das Pflichtprogramm hinaus begeistern, sie mit echten Problemen herausfordern, zusammen mit alten lateinischen Texten neue Fragen und Methoden in den Unterricht einbringen. Beeindruckt hat mich etwa auch sein kluges pädagogisches Lehrerverhalten zu einem autistischen hochintelligenten Kind, als von Inklusion noch nicht die Rede war.

Deshalb haben wir ihn häufig zu neuen Fragen des Lateinunterrichts nach Berlin eingeladen. Seine Veranstaltungen waren vielbesucht und gerne würde ich wissen, wieviele Kolleginnen und Kollegen er zu neuem Schwung im Unterricht getragen hat. 1999 ging es ums Methodenlernen, 2003 begeisterte er seine Hörer mit Bildern aus Italien zu Amor und Psyche, 2009 ging es um Portfolioarbeit im LU, 2011 um Nachhaltiges Lernen im LU, um nur einige Themen zu nennen. Durch ihn fanden wir als Veranstaltungsmacher zu Gerhard Hey und Ulf Jesper, ein hochkompetentes Dreierteam aus Kiel. Sie erklärten uns, was Kompetenzorientierung heißt und wie intelligentes Üben geht oder wie man differenziert unterrichtet. Kiel war besonders in jenen Jahren für uns Berlin- Brandenburgische Lateinlehrkräfte der Nabel der Welt, von dort kamen die interessanten Ideen, noch mehr die schulpraktischen Umsetzungen mit Verstehensgarantie für die Normallehrkraft. Peter Petersen hat damit den Anfang gemacht, Ulf Jesper ist mittendrin.

Ein großer Wurf war ein von Peter Petersen in Zusammenarbeit mit Hans-Joachim Glücklich und Rainer Nickel 1980 herausgegebenes Buch, meine Lieblingsgrammatik, die noch heute jedem Lateinlehrer zu empfehlen ist: interpretatio. Neue lateinische Textgrammatik (Verlag Ploetz Freiburg-Würzburg), ein mir bis dahin unbekannter Buchtyp. Die lateinische Grammatik (plus Lehrerhandbuch) ist darin eingebettet in den größeren Zusammenhang einer vielseitigen und kurzweiligen Anleitung zu einem erfolgreichen Umgang mit Texten, die Regeln der Grammatik dienen einer sachgemäßen Arbeit an Texten. In einer Fortbildungsveranstaltung in Mülheim/Ruhr 2014 bestätigen die damaligen Referenten in einem gemeinsamen Arbeitspapier dieser Textgrammatik von 1980 „eine vorbildliche Konzeption zur Textanalyse” und konstatieren: „Ein Erwerb und Training von Interpretationskompetenz in der Lehrbuchphase verleiht dem Lateinunterricht mehr Gewicht und damit Berechtigung und führt zu einer gehaltvolleren, selbständigen Lektüre”.

(https://www.klassphil.hhu.de/fileadmin/redaktion/Oeffentliche_Medien/Fakultaeten/Philosophische_Fakultaet/Klassische_Philologie/Dateien_Philologie/Lateinunterricht_heute_2014.pdf). Die drei Herausgeber dieser Grammatik vervollständigten ihr Lektürekonzept durch Arbeitsmaterialien, eine Reihe vonTextausgaben und Lehrerheften, erstellt u.a. von E. Schirok, , G. Fink, K.-H. Eller, J. Blänsdorf, P. Barié. Von Peter Petersen stammt der Band 4 Römischer Prinzipat.Zum Tatenbericht des Augustus – Rechtfertigung und Kritik (1981), in meiner Textsammlung eine der am meisten strapazierten Ausgaben.

Viele Jahre durfte ich als junger Lehrer von Peter Petersen und den beiden anderen Mitgliedern – Hans-Joachim Glücklich und dem Tübinger Schulleiter Eberhard Bansbach – in einer DAV-Arbeitsgruppe zur Leistungsmessung im AU viel lernen. Peter Petersen überschüttete uns mit Materialien, Fachaufsätzen, Statistiken und den Ideen von Fachleuten. Auch später durfte ich lange Jahre regelmäßig profitieren von seinen Materialsammlungen (allesamt in Farbe gedruckt!), zu seinen Lateinlektürekursen, die er mit Erwachsenen durchführte, zu seinen Italienreisen, die nicht nur nach Rom, sondern zu kulturellen Zentren führten, die noch immer auf der Liste meiner Sehnsuchtsorte stehen.

Präsent ist mir noch eine Autofahrt mit Peter Petersen zu einigen reizvoll gelegenen, aber mehr noch historisch beeindruckenden Landgütern und Herrensitzen im Land zwischen Rendsburg und Kiel, wo er meine Frau und mich einen ganzen Tag lang Prachträume mit vielen überraschenden und unerwarteten Bezügen zur Antike zeigte. Wir machten damals mehrfach mit unseren Kindern Urlaub auf einem Bauernhof auf dem Land, es herrschte gerade einige Aufregung, als Peter Petersen morgens ankam, denn die legendäre Schimmelstute der Besitzerin hatte gerade ein Fohlen bekommen. Dem Junior des Hauses konnten wir damals bei der Ausbildung seines Holsteiner Schimmels 'Marius' zuschauen, mit dem er Jahre später 2004 bei den Olympischen Spielen in Athen mit der Mannschaft (mit einigem Pech einer Teamkollegin nur) Vierter wurde und 2008 in Peking die Goldmedaille im Vielseitigkeitsreiten erritt.

Friedrich Maier schrieb 1999 im Heft 4 von Forum Classicum über Peter Petersen nach Übergabe des Vorsitzes im Landsverband Schleswig-Holstein an seinen Nachfolger Rainer Schöneich sehr zutreffend: Peter Petersen hat sich wahrlich „um die Alten Sprachen in Deutschland verdient gemacht. Seit der 'Pädagogischen Wende' der Curriculumreform hat er an führender Stelle an der Entwicklung des altsprachlichen Unterrichts mitgewirkt. ... er ist einer jener Fachvertreter, die mit Leidenschaft und bildungstheoretischem Wissen auf der politischen Bühne die Sache des Lateinischen zu vertreten versuchen. Sein Wirken war hier sehr erfolgreich. Auf unzähligen Fortbildungsveranstaltungen hat er sein Wissen weitergegeben und gibt es weiter, wobei immer die nahezu sprichwörtlich gewordenen „Petersen-Papers“ (umfangreiches Kopiermaterial) die Grundlage bilden”. https://www.altphilologenverband.de/forumclassicum/pdf/FC1999-4.pdf (Seite 214)

Wir Berliner und Brandenburger Fachkollegen haben Peter Petersen in dankbarer Erinnerung als einen sehr sympathischen Menschen, eine großartige und vielseitige Lehrerpersönlichkeit – gerne wäre ich bei ihm Schüler gewesen!